Können und wollen statt müssen

Können und wollen statt müssen

Artikel

25. August 2024

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25. August 2024

Anders weiter: im Gespräch mit Sarah Heiligtag, die nach ihrem Philosphiestudium Bäuerin wurde.

Was bedeutet «Anders weiter» für dich ganz persönlich? Alles könnte anders sein, das ist mein Leitsatz. Wenn wir so weitermachen, zerstören wir unseren Planeten. Wir sind in einer Sackgasse.

Du bist nach deinem Philosophiestudium «Anders weiter» gegangen – was war geschehen? Ich kam mit dem Thema Gerechtigkeit in Berührung und ich wollte einen Beitrag leisten. Doch Theorie reicht nicht für Wandel. Veränderung geschieht nur, wenn uns etwas im Herz berührt. Deshalb wollte ich einen Ort schaffen, an dem Menschen zusammenkommen, miteinander sprechen und sich untereinander und mit der Welt verbinden. Und einen Ort, wo man vom Reden ins Handeln kommt.

Und dieser Ort sollte ein Bauernhof sein? Über die Ethik kam ich an unser Verhältnis zum Tier und an die Frage, was Gerechtigkeit bedeutet. Gegenüber Lebewesen und damit gegenüber Tieren als fühlenden Wesen. Das ist unausweichlich, wenn man sich damit befasst. Dass ich auf einem Bauernhof landen würde, hätte ich mir niemals vorstellen können. Doch man sieht den Kontrast zur Realität sofort, wenn man sich diesen Fragen stellt. Und für mich stellte sich die Frage, wenn nicht so, wie denn dann?

Dann wurde die Philosophin zur Bäuerin? Natürlich nicht über Nacht. Ich machte eine Ausbildung. Ich wollte zeigen, wie es anders geht, nicht bloss kritisieren. Was ich in meiner Ausbildung lernte, bestärkte mich erst recht. Es war haarsträubend. Man sollte Tiere als Ware verstehen und sie möglichst nahe am Tod halten, damit sie wenig kosten und viel abwerfen. Ein emphatischer Zugang fehlte komplett und «Bio» wurde lächerlich gemacht. Ich wusste umso mehr: es braucht Pioniere, die zeigen, wie es anders gehen kann.


«Was man tut, wird Realität»

Sarah Heiligtag


Was willst du anders machen? Ich will zeigen, wie Landwirtschaft ohne Nutztierhaltung geht. Dass wir mehr Nahrungsmittel produzieren können, weil wir den Acker direkt nutzen. In der Schweiz nutzen wir 60 Prozent der Fläche für den Anbau von Tierfutter. Und besetzen Äcker in anderen Ländern für die Produktion von Soja. Etwa in Brasilien. Wohlgemerkt nicht Soja für vegane Milch, sondern um unsere Tiere zu mästen. Das ist ein Skandal!

Warum liegen dir die Tiere so am Herzen? Weil sie fühlende Wesen sind, leidensfähig und mit einem Impuls, glücklich zu leben. Bei einem Hund oder einer Katze verstehen das viele Menschen. Doch den 60 Milliarden Nutztieren weltweit wird das zumeist verwehrt. Stattdessen werden sie unterdrückt. Selbst bei einem Tier, das gut gehalten wird, entscheidet der Mensch über dessen Leben und Tod.

Wer sagt denn, dass eine Kuh glücklich sein will? Man kann natürlich wegsehen und sich über ein anderes Lebewesen hinwegsetzen; ihm das Bedürfnis nach Glück absprechen. Doch die Forschung zeigt, was ein glückliches Leben einer Kuh ausmacht. Sicher nicht, dass man ihr das Kalb wegnimmt, damit man ihre Milch verkaufen kann und das Kalb tötet. Bei einem Hund würden wir das nie machen. Wenn man sich vorstellt, Kühe würden uns und unsere Kinder essen, obwohl sie Alternativen hätten, sieht man den Punkt: Wir haben Alternativen. Inzwischen melden sich immer mehr Bauern bei mir, die das auch nicht mehr wollen. Weil sie es nicht mehr verantworten können und seelisch kaputtgehen.

«Anders weiter» von plusbildung will, dass Menschen aufeinander zugehen können; wo würdest du dir ein «Anders weiter» wünschen? Überall. Das Wissen ist da. Sogar eine Übersättigung. Wir sollten lernen, wie wir die Welt verändern können. Bildung ist der Schlüssel dazu. Wir zeigen Schulkindern seit zehn Jahren unseren Hof und diskutieren über Ethik und Zukunftsfähigkeit. Manchmal kommen pro Woche 400 Kinder zu uns. Anders weiter wäre für mich Bildung, die man erlebt, wo man anpackt, alle Sinne involviert sind, man zusammen etwas erarbeitet. Zentral ist die Beziehung zueinander. Das löst etwas aus in uns. Ich erlebe es selbst: viele Leute denken, ich sei eine Extremistin und wenn sie persönlich mit mir reden, kommen sie zum Schluss, ich sei gar nicht so schlimm.

Müssen wir «Anders weiter»? Ich würde nicht sagen, wir müssen, sondern wir können und wollen anders. Müssen erzeugt Widerstand. Aber wenn wir schauen, wie es den Menschen, den Tieren und dem Planeten geht, müssen wir etwas machen, damit es uns gut geht und ich glaube, das ist das, was wir im Grunde genommen wollen.




Verfasst von:

Thomas Stucki

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